Am 28. April 2021 wird die Sitzung des Trierer Stadtrats ab 17:00 Uhr wieder live ins regionale Fernsehen und ins Internet übertragen. Für Ratsmitglieder, Verwaltung und Zuschauer*innen in Trier ein inzwischen völlig normaler Vorgang, der sich bereits zum 50. Mal wiederholt. Die Übertragung der Stadtratssitzungen war in Rheinland-Pfalz eine Pionierleistung und hat über die Grenzen des Landes hinaus viel mediale Aufmerksamkeit erregt und ist eine Blaupause für andere Städte und Kommunen.
Rund 11 Tage müsste man ohne Unterbrechung fernsehen, wollte man alle 50 Liveübertragungen seit Jahresbeginn 2017 noch einmal verfolgen. Zum Vergleich: Alle Staffeln der Serie „Game of Thrones“ erfordern „lediglich“ 2,5 Tage Lebenszeit. Inhaltlich sind die Schnittmengen glücklicherweise eher gering, obgleich es natürlich auch im Stadtrat hin und wieder besonders spannende Abende gegeben hat. Da ging es beispielsweise um die Frage des Baugebiets am Brubacher Hof, die Annahme einer Karl-Marx-Statue aus China oder das erste Einwohnerbegehren rund um die „blaue Lagune“. Bei diesen Themen fieberten tausende Trier*innen vor den Bildschirmen und mobilen Endgeräten mit und die Stadtpolitik war an diesem Abend sicherlich Quotensieger im Vergleich zu parallel laufenden Krimis.
Den ersten Aufschlag für eine Stadtratsübertragung machten seinerzeit der inzwischen verstorbene OK54-Leiter Otto Scholer und das Ratsmitglied Thomas Albrecht. Damals scheiterte das Projekt an den rechtlichen Rahmenbedingungen; ein einzelnes Ratsmitglied hätte jede Übertragung verhindern können. Doch 2016 kam Bewegung in die Sache, als das Landestransparenzgesetz die Grundlage dafür schuf, dass die Übertragungen mit einer 2/3-Mehrheit in der Hauptsatzung möglich gemacht werden konnten. Triers neuer Oberbürgermeister Wolfram Leibe erkannte die Gelegenheit und machte das Projekt umgehend zur Chefsache. Noch Ende 2016 gab es eine Aufzeichnung als Pilotprojekt und am 02.02.2017 ging der Stadtrat erstmals live auf Sendung.
Interesse viel größer als erwartet
„Wer schaut sich das denn an?“ und „Da fehlt ja die journalistische Einordnung – das verstehen die Leute doch gar nicht“, waren typische Wortmeldungen seinerzeit. Doch von der ersten Übertragung an kam alles anders. „Mehr als 1.200 Menschen verfolgen die Sitzungen im Schnitt online – dazu kommen die vielen Zuschauer*innen an den Fernsehgeräten, deren Quote technisch nicht erfasst werden kann“, erläutert Sebastian Lindemans, der seit Anfang 2016 neuer OK54-Leiter ist: „Die Kritiker sind quasi von heute auf morgen verstummt und die Wahrnehmung der Arbeit des Rats hat sich in der Öffentlichkeit auch gewandelt.“ Legendär ist dabei vor allem eine Sitzung des Rates aus dem Jahr 2019, die von 17:00 bis 02:00 Uhr in der Nacht dauerte. Mehrere Zuschauer*innen bekundeten in der Folge, dass ihnen nicht bewusst gewesen sei, wieviel Arbeit dort ehrenamtlich geleistet wird. „Dieser Faktor ist heute viel sichtbarer für die Bürger*innen.“, glaubt auch Lindemans.
Möglich war und ist dies nur durch die enge Kooperation mit dem Offenen Kanal vor Ort, denn durch das ehrenamtliche Engagement war für die Stadt nur die einmalige Investition in drei fest installierte fernsteuerbare Kameras im Rathaussaal nötig. Die Technik kommt in den letzten Corona-Monaten auch für die Videokonferenz-Sitzungen, Bürgersprechstunden und kurzfristige Pressekonferenzen zum Einsatz. 20.000 Euro hatte die Stadt 2017 investiert: „Seinerzeit ist Trier damit sehr innovativ vorangegangen. Derzeit sind die Kameras aufgrund der enormen Nachfrage quasi nicht mehr lieferbar.“ OK54 betreut auch viele dieser Formate und Sebastian Lindemans freut sich im Namen der OK-Macher*innen: „Eine Stadt, deren Oberbürgermeister in allen Phasen der Coronakrise immer wieder den Leiter des Gesundheitsamts, den Ordnungsdezernenten, die Schuldezernentin, und viele weitere Experten vor die Kamera holt, um live im Fernsehen und im Internet die Fragen der Menschen zu beantworten – das ist zweifellos nicht selbstverständlich.“ Bewährt hatte sich die festinstallierte Technik auch in den Stunden nach der schrecklichen Amokfahrt vom 01. Dezember 2021. Live aus dem Rathaussaal wurde eine Pressekonferenz gesendet, die zehntausende Menschen mitverfolgten. So konnte die Stadt Trier Gerüchten und Falschmeldungen relativ schnell den Boden entziehen und so das Leid der Betroffenen zumindest in dieser Hinsicht etwas mildern.
Stolz auf Bürgermedien-Struktur in Rheinland-Pfalz
„Mit 20 Offenen Kanälen haben wir in Rheinland-Pfalz auf neun Sendeplattformen eine bundesweit einmalige Struktur“, erläutert Dr. Marc Jan Eumann, Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, die die Offenen Kanäle im Land technisch ausstattet und hauptamtlich unterstützt: „Gerade in der Coronakrise hat sich die Bedeutung dieser ehrenamtlichen Struktur als wichtige lokale Ergänzung gezeigt. Und das Stadtratsfernsehen in Trier war diesbezüglich eine echte Initialzündung für viele Kommunen – nicht nur in Rheinland-Pfalz.“
Große Eklats und Peinlichkeiten indes blieben in den 50 Livesendungen der Stadtratssitzungen übrigens aus. Die Kameraführung ist für die Ratsmitglieder transparent. Bedenken und Sorgen waren also rasch vergessen. Was bleibt sind viel Transparenz und ein ungebrochen großes Interesse der Bürger*innen an ungefilterter kommunalpolitischer Arbeit.